Ausserrhoder Sozialbericht - 3 negative und 3 positive Aspekte

An der Kantonsratssitzung vom 27. September 2021 hat sich das Ausserrhoder Kantonsparlament mit dem Sozialbericht befasst. Wirklich neue Erkenntnisse sind darin nicht enthalten, aber der Bericht fasst erstmals viele unterschiedliche Quellen, Informationen und Statistiken zentral zusammen. Die Fraktion FDP.Die Liberalen hat sich intensiv mit dem Bericht auseinandergesetzt. Die wichtigsten Erkenntnisse hat Kantonsrat Matthias Tischhauser hat in seinem Votum zusammengefasst. Dieses gibt es in leicht gekürzter Form nachfolgend zum Nachlesen.  

Wirklich neue Erkenntnisse sind im Sozialbericht nicht enthalten, aber der Bericht fasst erstmals viele unterschiedliche Quellen, Informationen und Statistiken zentral zusammen. Speziell begrüssen wir, dass der Bericht nicht nur ein reiner Sozialbericht ist, sondern auch sehr viele wirtschaftliche Aspekte beleuchtet. Ob das Ganze 100‘000 Franken wert ist, ist eine andere Frage. Was wir hingegen sicher wissen: Wenn der Bericht jetzt einfach in einer Schublade verschwindet, dann verpuffen die 100‘000 Franken ganz bestimmt.

Entscheidend ist deshalb für die Fraktion FDP.Die Liberalen, dass jetzt basierend auf dem Bericht konkrete politische, strategische Ziele formuliert werden, und dass konkrete operative Massnahmen abgeleitet werden, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Diese abgeleiteten Ziele und Massnahmen müssten dann konsequenter Weise in das nächste Regierungsprogramm und in die kommenden Aufgaben- und Finanzpläne einfliessen.Das aktuelle Regierungsprogramm ist noch bis 2023 gültig, das heisst es muss spätestens nächstes Jahr überarbeitet werden. Das Timing passt also, um die Erkenntnisse aus dem Sozialbericht einfliessen zu lassen.

Das bringt uns zum zentralen Kritikpunkt:
Uns fehlt die politische Würdigung des Berichts von Seiten des Regierungsrates.

Gemäss Kantonsverfassung Art. 82 ist der Regierungsrat die oberste leitende, planende und vollziehende Behörde des Kantons. Wir erwarten deshalb ganz klar vom Regierungsrat, dass er im weiteren Verlauf die strategischen Ziele und Massnahmen aus dem Bericht ableitet. Die Frage, ob ein solcher Sozialbericht künftig wieder erstellt werden soll und in welcher Periodizität - wenn überhaupt, kann aus Sicht FDP.Die Liberalen erst beantwortet werden, wenn wir sehen, was mit dem Bericht gemacht worden ist. Eventuell bietet sich auch an, wie von der Kommission Gesundheit und Soziales vorgeschlagen, die wichtigsten Kennzahlen aus dem Sozialbericht in einem anderen Bericht, wie zum Beispiel dem Gesundheitsbericht zu integrieren.

Noch ein anderer Aspekt fehlt uns im vorliegenden Bericht:
Wo sind die Menschen, die ohne Selbstverschulden in soziale Not geraten sind?
Gibt es Personen in unserem Kanton, welche durch das soziale Netz fallen?

Es fehlt die Tiefe im Bericht, so dass man die Gründe und Ursachen für die Problemsituationen von Menschen, welche unverschuldet in Not geraten sind, nicht erkennen kann. Dieser Aspekt wäre für die Fraktion FDP.Die Liberalen aber entscheidend zu wissen, damit man diesen Personen konkret und zielgruppenspezifisch wirksam helfen kann.

Ebenfalls ein ganz grosser Handlungsbedarf besteht aus Sicht FDP.Die Liberalen beim Thema Schwelleneffekte und negative Erwerbsanreize. Von einem Schwelleneffekt spricht man, wenn eine Sozialleistung zu einer Reduktion des frei verfügbaren Einkommens führt, zum Beispiel durch höhere Steuern oder Abgaben. Ein negativer Erwerbsanreiz besteht, wenn es sich für den Sozialhilfeempfänger nicht lohnt, zu arbeiten. Beides gefährdet Legitimität des Sozialstaates und widerspricht dem Grundsatz, dass sich Arbeit lohnen muss.

Wir fordern deshalb den Regierungsrat auf, diese Problematik genau zu analysieren und zu evaluieren, mit welchen Instrumenten und Massnahmen diese Schwachstellen in der wirtschaftlichen Sozialhilfe korrigiert werden können.

Abschliessend erwähnen möchten wir im Sinne einer politischen Würdigung je drei positive und drei negative Aspekte, die uns im vorliegenden Bericht besonders ins Auge gesprungen sind:

Positiv zu erwähnen - nebst der allgemeinen Erkenntnis, dass wir bei vielen sozialen Kenngrössen im Schweizer Vergleich gut oder sogar besser dastehen - sind insbesondere die folgenden drei Punkte:

  1. Der erste positive Aspekt betrifft die Erwerbsquote:
    Die Erwerbsquote hat sich in Appenzell Ausserrhoden in den letzten drei Jahrzehnten deutlich erhöht, und das haben wir insbesondere den Frauen zu verdanken.  Ausserrhoder Frauen sind häufiger erwerbstätig als früher, und zwar über alle Alterskategorien hinweg.  Bei den Männern hingegen ist die Erwerbstätigkeit leicht zurückgegangen.
     
  2.  Der zweite positive Aspekt betrifft die Bildungsexpansion:
    Und auch das haben wir den Frauen zu verdanken; das steigende Bildungsniveau der Bevölkerung und die Bildungsexpansion zeigt sich vorallem auch bei den Ausserrhoderinnen deutlich. Dem gegenüber steht leider, dass Hochschulabschlüsse deutlich seltener sind als im Schweizer Schnitt. Der Bericht zeigt auch einmal mehr deutlich auf, dass Personen ohne nachobligatorische Ausbildung und solche mit geringem Bildungsniveau häufiger mit Armut konfrontiert sind. Für die FDP ist deshalb klar: Bildungsarbeit ist auch Sozialarbeit und Gesundheitsarbeit! In die Bildung zu investieren ist die richtige Ursachenbekämpfung, und nicht nach dem Giesskannenprinzip Geld zu verteilen.
     
  3. Der dritte positive Aspekt betrifft die Sozialhilfequote von Appenzell Ausserrhoden, welche deutlich unter dem Gesamtschweizer Wert liegt.
    Und dies, obwohl die Anzahl der unterstützten Haushalte in den letzten 10 Jahren um 70% angestiegen ist, was wiederum damit zusammenhängt, dass sich die Einpersonenhaushalte im gleichen Zeitraum fast verdoppelt haben, und diese sind schweizweit überdurchschnittlich häufig auf soziale Unterstützung angewiesen.

Kommen wir zu den negativen Punkten:

  1. Der erste negative Aspekt betriff das Beschäftigungswachstum:
    Im Gesamtschweizerischen Durchschnitt ist das Beschäftigungswachstum doppelt so hoch wie in Appenzell Ausserrhoden: 20% vs. 10%. Mit anderen Worten:  Wir verpassen den Anschluss.
     
  2. Der zweite negative Aspekt betrifft das Bruttoinlandprodukt:
    Das in Appenzell Ausserrhoden erwirtschaftete BIP pro Einwohner*in ist im gesamtschweizerischen Vergleich massiv unterdurchschnittlich (56K vs. 79.2K CHF). Nur in den Kantonen Wallis und Uri liegt es noch tiefer. Und am gesamtschweizerischen BIP beträgt der ausserrhodische Anteil gerade einmal 0,5%! Mit anderen Worten: Volkswirtschaftlich gesehen sind wir eigentlich ziemlich irrelevant und bedeutungslos.

    Das BIP ist keine abstrakte Grösse, die uns egal sein kann. Sie bringt zum Ausdruck, wieviel Wertschöpfung in unserem Kanton erbracht wird, was sich direkt in den Ausserrhoder Löhnen niederschlägt. Das wir in diesem Bereich unterdurchschnittlich sind, sollte uns zu denken geben. Um das BIP und auch um das vorhin erwähnte Beschäftigungswachstum zu steigern, muss unser Fokus auf der Ansiedlung von wertschöpfungsstarken Unternehmen aus der Industrie und dem Dienstleistungssektor ausgerichtet sein.
     
  3. Der dritte negative Aspekt betrifft die Altersstruktur der ständigen Wohnbevölkerung:
    Wir haben einen höheren Jugendquotient als im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Das bedeutet einen höheren Anteil von Kindern und Jugendlichen im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Wir haben aber auch einen höheren Altersquotient, das bedeutet mehr Personen im AHV-Alter im Verhältnis zur erwerbsfähigen Bevölkerung. Gleichzeitig haben wir aber keinen kleineren Anteil von Personen im erwerbsfähigen Alter als im Schweizer Durchschnitt. Mit anderen Worten, wir haben einen höheren Anteil in den beiden Alterskategorien die tendenziell kosten (Kinder und Alte), und haben gleichzeitig einen kleineren Anteil von Personen, die zur wirtschaftlichen Arbeitsleistung und zum Staatshaushalt beitragen Und das zusammen ist natürlich eine toxische Kombination.

    Diese Situation hängt auch direkt zusammen mit dem hier schon oft erwähnten Ausserrhoder Problem des «Brain Drain», also der Abwanderung von gut ausgebildeten und qualifizierten jungen Menschen. Ausserrhoden ist in dem Bereich seit Jahren der Spitzenreiter unter den Kantonen, zusammen mit Uri. Wie vorhin erwähnt steht Uri auch gleich schlecht da wie AR beim Thema Bruttoinlandprodukt; die Korrelation ist offensichtlich. 

All diese drei erwähnten negativen Punkte zeigen auch im Hinblick auf das Regierungsprogramm einmal mehr, dass es eben nicht reicht, nur ein reiner Wohnkanton zu sein. Wer nur Wohnkanton sein will, ist bald auch ein Schlafkanton. Ein Kanton also, dem die Dynamik und Entwicklung abhandengekommen sind.Unser Ziel hingegen muss sein, auch ein attraktiver und erfolgreicher Wirtschaftsstandort zu sein. Ein solcher bietet attraktive und gut bezahlte Arbeitsstellen und trägt mit seinem Steuervolumen zum Staatshaushalt bei, von dem die Bevölkerung in Form von staatlichen und sozialen Leistungen profitieren kann.

Übrigens; um 1800 war Appenzell Ausserrhoden der dichtest besiedelte Schweizer Kanton. Der im Vergleich zur restlichen Schweiz positive abweichende demografische Entwicklung war im Wesentlichen auf unseren damaligen Wirtschaftsaufschwung durch die Frühindustrialisierung zurückzuführen.

Unsere Vergangenheit sollte uns eine Inspiration für die Zukunft sein.

Matthias Tischhauser
Kantonsrat FDP.Die Liberalen